Erinnerungen des SPD-Ehrenstadtrat Klaus Kroner
Vor 75 Jahren am 28. März 1945 erfolgte die Befreiung Bad Vilbels vom Naziterror durch die US-Amerikanischen Truppen. Zuerst kamen durch den Gronauer Weg amerikanische Panzer, denen Fußtruppen durch den Vilbeler Wald über den Erzweg folgten.
Bereits am 26. März 1945 überschritten zwei amerikanische Heeresgruppen den Main. Eine erreichte von Frankfurt, die andere von Hanau kommend Vilbel, wie es damals noch hieß.
Die verängstigte Bevölkerung hatte an allen Häusern weiße Fahnen herausgehängt und wurde am Abend von der Rathaustreppe aus, durch den von den Amerikanern beauftragten, früheren Stadtobersekretär, Johan Kroner, zur Ruhe ermahnt.
Am 29. März 1945 wurden weitere 200 US-Soldaten in von Bürgern geräumten, aber auch in privaten Wohnungen untergebracht.
Klaus Kroner :“ So auch in unserer Wohnung, in der Bahnhofstraße gegenüber dem Nordbahnhof, mit drei amerikanischen Soldaten, die im Dauereinsatz mit einem auf dem Podest des Treppenhaus aufgestellten Maschinengewehr, zur Überwachung des gesamten Bereichs vom Nordbahnhof und damit auch zu unserer eigenen Sicherheit in Stellung waren.
Meine Mutter war in dieser Situation als Frau sehr angstbesetzt und saß mit meinem vier Monate alten Bruder nur in voller Bekleidung im ungeheizten Zimmer. Ich sollte jeden Kontakt mit den Soldaten meiden, denn sie erkannte die Gefahr einer Annäherung über mich.
Aber wir konnten nach über einer Woche in guter Sicherung, nur dankbar auf das Zusammenleben mit den amerikanischen Soldaten zurückblicken. Denn der Schutz der Zivilbevölkerung war den Amerikanern ein besonderes Anliegen.“
Am 3. April 1945 versammelten sich im Rathaus einige Vilbeler Bürger, die vor 1933 im Gemeindeleben tätig waren und im Dritten Reich ihrer Ämter und Berufsstellungen enthoben worden waren:
Von der SPD waren dies: Karl Bruder sen., Karl Bruder jun., Wilhelm Erlenbeck, Karl Horn, Johann Kroner, Jakob Köppler, Georg Muth, Andreas Schmidt
Von der Demokratische Partei: Wilhelm Giegerich
und der KPD: Karl Lehr, Georg Schmitt.
Johann Kroner leitete diese Zusammenkunft und es wurde beschlossen, dass sich einige Männer zur Verfügung stellen müssten, um der Bevölkerung die notwendigen Lebensbedürfnisse zu verschaffen.
Am 7. April 1945 fand eine weitere Zusammenkunft von ca. 30 bis 35 Bürgern statt. Es wurde festgelegt, dass bis zur der Rückkehr des in amerikanischer Gefangenschaft geratenen früheren Bürgermeisters, Kurt Moosdorf, Karl Bruder jun. Kommissarischer Bürgermeister sein sollte.
Georg Muth wurde zum 1. Beigeordneten und als 2. Beigeordneter Karl Lehr gewählt.
Darüber hinaus wurden sieben Arbeitsausschüsse gebildet: Ernährungsausschuss, Arbeitsamt, Krankenhausausschuss, Fürsorgeausschuss, Kulturausschuss, Finanzausschuss, Bau- und Wohnungsausschuss, die bis zur Schaffung geordneter parlamentarischer Verhältnisse auch gegenüber der amerikanischen Militärregierung die Gesamtverantwortung tragen sollten.
Mitten in diese Bürgerbesprechung kamen zwei amerikanische Offiziere:
Der Kommandant des Kreises Friedberg, Captain Bannigan und sein Adjutant, Oberleutnant Blakemore, die sich nach der Sicherheit und Versorgung der Bevölkerung sowie der Gemeindeverwaltung erkundigen wollten.
Auf Veranlassung der Militärregierung wurde am 10. April 1945 durch den von den Amerikanern eingesetzten Landrat, Hermann Bach, in Gegenwart von Oberleutnant Blakemore die kommissarische Stadtverwaltung Vilbel offiziell bestätigt und vereidigt: Amtliche Bekanntmachungen der Stadtverwaltung Vilbel, Nr. 1, „Amtliche Bekanntmachungen“ Nr. 1, 10. April 1945.
Wenn sich auch am 3. April 1945 einige Vilbeler Bürger zu einem Neuaufbau und Wiederanfang versammelten, war der Besuch meines Großvaters bei seinem Freund Martin Reck, dem Initiator zum Bau des Volkshauses und späteren Kurhauses, besonders erschütternd.
Denn am Vormittag des 3. April 1945 erfuhr mein Großvater, Johann Friedrich Kroner, vom schlechten Gesundheitszustandes seines Freundes, Martin Reck, der nach seiner Festnahme wegen des Attentats auf Hitler im Juli 1944 und seiner Freundschaft zu Wilhelm Leuschner, in das KZ-Lager Dachau gebracht wurde.
Auszug der Original-Aktennotiz von Johann Friedrich Kroner am 3. April 1945:
„Daraufhin war ich heute Mittag bei Freund Martin, habe ihn in starken Schmerzen liegend, vorgefunden. Er hat mir sofort zu verstehen gegeben, dass er mit seinem baldigen Ableben rechnet und hätte das dringende Bedürfnis, mir doch noch Verschiedenes mitzuteilen. Neben manchen Angaben, die er mir in Bezug auf unsere frühere gemeinsame Arbeit im Interesse der Arbeiterbewegung aber insbesondere im Interesse unseres Heimatstädtchens geleistet haben, hat mich sein Erlebnis im KZ-Lager Dachau sehr erschüttert und mich veranlasst, hierüber diese Notiz entstehen zu lassen. Er hat mir, so gut er es noch in seinem Zustand konnte, und, obwohl ich ihn bat, sich äußerst zu schonen, zunächst die Fahrt nach Friedberg und Gießen bzw. die Art und Weise, wie überhaupt seine Festnahme erfolgt ist, geschildert.
Die Einlieferung in das KZ-Lager Buchenwalde wäre, obwohl sie bis kurz vor Buchenwalde gekommen waren, nicht zu Stande gekommen, weil damals ein schwerer Fliegerangriff dieses Lager zerstört hätte. Sie waren alsdann nach dem Lager Dachau gebracht worden. Er nannte mir die Namen verschiedener guter Freunde, wie Oberschulrat Friedrich aus Darmstadt, Anton Lux, Josef Röstler, Ernst Mulanski, Eugen Keiser u.s.w. Nach ihrer Einlieferung in das Lager hatten sie sich vollständig entkleiden müssen, ihre Sachen wären dann in einen Sack gesteckt worden. Dieser Sack sei dann bis zu ihrer Entlassung in Verwahrung genommen worden. Sie wären alsdann nackend im Freien, trotz der kalten August-Nacht aufgestellt worden. Sie hätten dann dünne Sommersachen zum Anziehen bekommen und hätten sich, damit sie nicht stärker gefroren hätten, ihre Beine mit Lumpen umwickelt. Sie hätten dann mit nackten Füßen etwa 5 Minuten marschieren müssen, hätten dann einige Zeit in einer Halle, deren Boden dünn mit Schotter- oder Kieselsteinen belegt war, stehen müssen und hätten dann Holzschuhe bekommen, die sie bis zu ihrer Entlassung hätten tragen müssen.
Zu der Ernährung wären 2 Pfünder Brot-Laibe ausgeteilt worden, wovon je 1/4 auf eine Person entfallen wäre. Außerdem hätte die Hauptnahrung in der Zubereitung von stark holzigen Erdkohlrabis, Rot- oder Weisskohl bestanden, das aber ohne jegliche Fettzugabe zubereitet worden wäre.
Aber schlimm hätte er bei der Ernährungsfrage unter dem Punkt gelitten, wie die Ausländer, die gegenüber seinem Lager eine besondere Halle bewohnt hätten, noch zu ihnen gekommen wären, um sich zusätzlich noch etwas Nahrungsmitteln zu erbetteln, weil diese scheinbar noch etwas schlechter daran gewesen wären. Diese armen Menschen hätten die von ihnen zurückgelassenen holzigen Reste noch zu ihrer eigenen Nahrung verwendet.
Es sei ihm ferner dort bekannt geworden, dass täglich etwas 15 – 20 Tötungen von Menschen vorgekommen wären, die nach ihrem Tode verbrannt worden seien. Man hätte Menschen in einen Bunker gebracht, wo sie mehrere Tage ohne Essen und Schlafgelegenheit nackend hätten liegen müssen.“
Einen ausführlichen Bericht finden Sie auch in der Wetterauer Zeitung vom 28. März 2020